03 LVN HISTORIE

Lochner von Nürnberg

Großbürgerfamilie mit Reichslehenbesitz


In Nürnberg, der alten freien Reichsstadt, wo die Kurfürsten heute noch im Glockenspiel der Frauenkirche am Hauptmarkt, bestaunt von abertausenden Touristen, ihren Kaiser Karl IV. umkreisen, und der 1356 die „Goldene Bulle“ generiert, die die Königswahl im Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation durch die sieben Kurfürsten für alle Zeiten festschreiben soll, steigt kurzfristig eine weitere Lochner-Linie um 1450 auf. Sie sind ein „ehrbares Geschlecht“ der Reichsstadt, was in deren Fall als eine Art „Vorstufe“ zum Patriziat der Stadt gewertet werden hätte können, denn deren alteingesessene Familien scheuen sich nicht ihre Töchter mit den Nürnberger Lochnern zu vermählen.

Diese Linie stammt augenscheinlich von den Drossenfelder Lochnern ab, d.h. sie sind nahe verwandt mit den Lochner von Hüttenbach und Lochner von Palitz. Sie werden als „Großbürgerfamilie mit Reichslehenbesitz“ bezeichnet (siehe oben: Ausschnitt/Wappen der Lochner von Nürnberg: Stifterbild der Familie Lochner-Pirckheimer „Auferstehung Christi“ – heute im Museum für Franken, Würzburg – bearbeitet von Katharina Brütting genannt Lochner)[1].
In den Standbüchern dieser Zeit ist 1378 ein C. Lochner eingetragen („Cunz Lochner“)[2].

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Mit Johann I. Lochner, seines Zeichens Apotheker, mit Christina Holzberger liiert, hat er den Sohn gleichen Namens Johann II. Lochner. Diese Lochner-Linie gibt zwei Gemälde in Auftrag, die heute in Museen in England und Würzburg hängen, und von einigem kunstgeschichtlichen Wert sind, und so hat sich ein authentisches Bild von Lochnern im Mittelalter bewahrt. Laut der Kunsthistorikerin Anna Moraht, Berlin, „…ist der Bestand fränkischer Malerei aus der Mitte des 15. Jahrhunderts relativ überschaubar – allein schon deshalb ist das Lochner-Pirckheimer-Stifterbild um 1465 eine wahre Kostbarkeit!“ (siehe Anhang: Vergrößerung der Stifterbilder)[3].



Johann II. Lochner, ist ein angesehener Arzt, sowohl als Leibarzt für die Hohenzollern tätig, als auch als Stadtarzt von Nürnberg. Er begibt sich 1435 auf eine lange Reise von sieben Monaten mit den Söhnen des Markgrafen von Ansbach Johann und Albrecht Achilles nach Jerusalem und schreibt darüber einen ausführlichen geographisch und topographisch wichtigen Bericht[4]. Diese Reisekonsilia haben sich bis heute erhalten in London[5], ebenso wie die Tipps zur Vermeidung der allgegenwärtigen Pest (Johann II. Lochner selbst übersteht mehrere Pest-Epidemien, so 1437 in Nürnberg, 1474 und 1483) für seinen Sohn Johann III. Lochner von Nürnberg, der als hoher Geistlicher in Sachen der Reichsstadt Nürnberg beim Vatikan in Rom weilt und Ratgeber Kaiser Friedrichs III. ist, sowie des Herzogs Sigismund von Tirol und des Markgrafen Albrecht von Brandenburg.

Dies unterstreicht vorzüglich der untengenannte Text von Prof. Dr. Claudia Märtl (Ludwig-Maximilian-Universität München) im Eingang ihres Beitrags für das Pirckheimer-Jahrbuch 2003 für Renaissance- und Humanismusforschung (Band 18) über „il doctorissimo“, wie Johann III. Lochner von Nürnberg in Rom genannt wird, zum Thema „Venezianisch-deutsche Kulturbeziehungen in der Renaissance“:

„Im März 1464 kam ein junger Nürnberger namens Sebastian Lochner zu Markgräfin Barbara Gonzaga, einer geborenen Zollerin, an den Hof nach Mantua. Er war auf der Durchreise nach Rom, wo er seinen Bruder Johann Lochner abholen wollte, um ihn nach Deutschland zurückzubegleiten. Zu seiner Beglaubigung wies Sebastian der Markgräfin ein Schreiben ihrer Mutter aus Bayreuth vor, in dem diese den Vater des Bruderpaares in den höchsten Tönen lobte: “het wir sein oft nit gehabt, wir mussten vor langer zeit tod sein, das er uns mit der hilf gotes noch pißher gefristet hat“. In der Tat war der Mediziner Dr. Johann Lochner – Leibarzt der Hohenzollern und Nürnberger Stadtarzt – eine weithin renommierte Autorität. Barbara Gonzaga übernahm die Formulierungen ihrer Mutter in einem eigenen italienischen Empfehlungsschreiben, das an mehrere hohe Mitglieder der Kurie gerichtet war, und fügte hinzu, sie fühle sich allen Angehörigen der Familie Lochner verpflichtet, die stets große Anhänglichkeit gegenüber dem Haus Hohenzollern bewiesen hätten[6].


Barbara Gonzaga von Mantua[7], geborene Hohenzollerin, d.h. eine „frühe Preußin“, pflegt regen brieflichen Kontakt mit Johann III. Lochner, woraus ersichtlich ist, dass die Beiden – obwohl ein gewaltiger Standesunterschied besteht – ein annähernd freundschaftlich zu bezeichnendes Verhältnis haben[8].

Der Stadtarzt Johann II. Lochner schafft es nicht nur in eine äußerst angesehene Nürnberger Familie einzuheiraten, denn mit Clara Pirckheimer, einer „Urgroßtante“ des Albrecht Dürer-Freundes Willibald Pirckheimer und Rat Kaiser Maximilians I., zeugt er 16 Kinder, von denen gerade einmal vier das Erwachsenenalter erreichen. Die hohe Kindersterblichkeit des Mittelalters ist dann als hauptsächlicher Grund zu nennen, warum der endgültige Aufstieg in den Patrizierstand versagt bleibt. Dies ist durchaus angedacht, lässt er sich doch 1431 eine eigene Wappen-Variante des Lochner-Wappens erstellen, insbesondere der ursprünglich silberne Querbalken wird nun „gülden“ und ist mit 2 Kugeln („Löchern“) belegt, die Helmzier bildet ein „offener Flug“ statt der Büffelhörner[9].


Die Tochter Clara schenkt einem Leonhard Pregler vier lebende Kinder, jedoch sein überlebender nächster Sohn, Sebastian Lochner (siehe oben) und dessen Frau Martha aus der Patrizierfamilie der Fütterer, die stolze Besitzer einer Ausgabe der Augsburger Bibel sind, hat keine weitere Nachkommenschaft (Zwillingssöhne sterben nach wenigen Monaten und ein behinderter Sohn namens Wolfgang lebt ab 1489 im Augustinerkloster Neunkirchen am Brand)[10]. Das gleiche traurige Schicksal ereilt den dritten Sohn Michael II. Lochner, laut Germanischem Nationalmuseum, Nürnberg – Dürer-Portal: Personen-Netzwerk – ebenfalls ein Freund Albrecht Dürers, der mit seiner Frau Catharina von Ploben den jung verstorbenen Sohn Michael III. zeugt und die Tochter Catharina Lochner von Nürnberg.

Ihr Vater Michael II. Lochner ist ein reicher Handelsherr, der als Erster venezianisches Glas nach Nürnberg importiert und die Handelsroute zwischen den beiden Städten kontrolliert, und seiner einzigen Tochter zwei außerordentlich schöne Glasbecher zur Vermählung schenkt, was Nürnbergs Patriziat derart beeindruckt, dass in der Folge dies bei Familien, wie z.B. den Imhoff, in Mode kommt. Ihre Einführung bezeugt ein neues ästhetisches Empfinden unter der städtischen Elite Nordeuropas.



Heute steht einer dieser kunstvollen Becher im Corning Museum of Glass in Corning, US-Bundesstaat New York (das größte Glasmuseum weltweit), und er zeigt die Bildnisse der heiligen Katharina und des heiligen Michael, sowie das Wappen der Behaim von Schwarzbach[11].

Catharina Lochner von Nürnberg heiratet am 7.7.1495 keinen geringeren als Michael IV. Behaim von Schwarzbach:

Ratsherr, Bürgermeister und Patrizier der Reichsstadt Nürnberg. Er ist der jüngere Bruder des Erfinders des ersten Globus der Welt, Martin Behaim, der heute im Germanischen Nationalmuseum, Nürnberg, zu besichtigen ist (UNESCO-Weltkulturerbe seit 2023), und, da viel in der Welt für die Könige von Portugal unterwegs, in seiner Heimatstadt bei seinem Bruder und Catharina Quartier bezieht.

Michael und Catharina bleiben kinderlos; ziehen jedoch seit 1511 einen Neffen aus der Behaim-Sippe groß, der ebenfalls Michael heißt, bis zu dessen Ausbildungsbeginn in Mailand 1523, und der die o.g. Becher erbt. Zudem sind beide 1511/1512 als „Findelpfleger“, also für Waisenkinder der Stadt Nürnberg zuständig. 1527 stirbt Catharina, die Schwägerin Martin Behaims, und hinterlässt ihr Vermögen den Armen (nähere Verwandtschaft dieser Lochner-Linie sind mit weiteren Patrizierfamilien verschwägert – siehe 01 LVN STAMMBAUM – so Hans Lochner 1470 mit Kunigunde Holzschuher, und dessen Kinder Hans Lochner mit Ursula Imhoff, Jobst Lochner mit Helene Imhoff und Kunigunde Lochner mit Christoph I. Harsdörffer – sterben allerdings endgültig aus mit Maria Barbara Margaretha Lochner von Nürnberg auf Warmersdorf, geb. am 10. Februar 1710 in Nürnberg, verheiratet mit Johann Friedrich von Schmidt auf Altenstadt im Markgrafentum Bayreuth bis etwa 1750)[12].

links: Lochner von Nürnberg (dessen Wappen seiner Frau zugewandt,
weshalb sich die Tingierung „seitenverkehrt“ zeigt)
rechts: Allianzwappen Lochner von Nürnberg und Behaim von Schwarzbach, daneben die von Ploben


Und sie geben ein Gemälde in Auftrag „Anbetung Christi“ (siehe oben), das Hans Leonhard Schäufelein aus dem Kreis um Albrecht Dürer von 1506 zu geschrieben wird, und wahrscheinlich in der Kirche St. Sebald in Nürnberg gehangen hat; es ist heute in der Compton Verney Art Gallery, in Warwick, England (Nähe von Birmingham), zu sehen und zeigt das Allianzwappen der Lochner von Nürnberg und deren eingeheiratete Familien.-


A N H A N G:

  1. Paul-Joachim Heinig: „Kaiser Friedrich III. (1440 – 1493), Hof, Regierung und Politik – Vol. 1 – 3, Köln,


    S. 509

  2. Namensregister zu den Bürgerbüchern in den Amts- und Standbüchern der Stadt Nürnberg Nr. 274-277 von 1335-1448; „C. Lochner 1378“ Standbuch-Nr. 298

  3. Zitat nach einer Mail vom 5. 8.2023 an die Verfasserin

  4. Johann Kamann (Hrsg.): „Die Pilgerfahrten Nürnberger Bürger nach Jerusalem im 15. Jahrhundert, namentlich die Reiseberichte des
    Dr. med. Hans Lochner und des Jörg Pfinzing“, in: MVGN 2 (1880), S. 78 – 163

  5. Wellcome Historical Medical Library – Cod. Wellc. 433 – nach H. J. Vermeer: „Johannes Lochners Reisekonsilia“
    in: Sudhoffs Archiv für Geschichte der Medizin und der Naturwissenschaften 56 (1972), 145 – 196

  6. Das Schreiben der Barbara von Hohenzollern an ihre Tochter Barbara Gonzaga findet sich in: Archivio di Stato Mantova, Archivio Gonzaga, b. 514 fol. 51r vom 7. Februar 1464; die Empfehlungsschreiben der Barbara Gonzaga für Sebastian Lochner in ASMnAG b. 2887 l. 43 fol. 87v – 88v vom 14. März 1464

  7. Bildnis der Barbara von Brandenburg, verheiratete Gonzaga Markgräfin von Mantua in Italien (Ausschnitt des Freskos von Andrea Mantegna), 15. Jhd.

  8. Wortlaut Frau Prof. Dr. Claudia Märtl – in: Pirckheimer-Jahrbuch 2003 für Renaissance- und Humanismusforschung (Band 18) über „il doctorissimo“, zum Thema „Venezianisch-deutsche Kulturbeziehungen in der Renaissance“

  9. Wappen der Lochner von Nürnberg bei Siebmacher als „Lochner I“ unter „Abgestorbener bayerischer Adel II „, Tafel 77:
    verliehen von König Sigismund an den Stadtarzt Dr. Johann II. Lochner – Sabbato post Ulrici 1431, Reichsadelsakten:vom 7.7.1431
    Regesta Imperii XI, No. 8681 – Österreichisches Staatsarchiv: AT-OeStA/AVA Adel RAA 253.18

  10. Stadtbibliothek Bamberg STAB BA 113 Nr. 4, f. 64/65 und f. 67/68. Sein Vater Sebastian Lochner übergab einmalig 300 fl. 1489 an das

    Kloster als Leibgeding (= Leibrente im Alter).

  11. Andrea Bayer (Hrsg.): „Kunst und Liebe im Italien der Renaissance“, Metropolitan Museum of Art, New York, U.S.A. –
    Details diese Becher betreffend erhielt die o.g. Autorin durch Herrn Dr. Dedo von Kerssenbrock-Krosigk vom Corning Museum of Glass in Corning, (heute Leiter des Glasmuseums Hentrich/Kunstpalast Düsseldorf) – sowie
    Anne Simon: „The Cult of Saint Catherine of Alexandria in Late-Medieval Nuremberg“ – ‎ Taylor & Francis Ltd, New Edition 2012.

    Der zweite Becher ist in Bremer Privatbesitz.

  12. siehe dazu: Lorenz Holzschuher – Nachfahrenliste Holzschuher – Muffel – Pfinzing, Stand 02/2016: Nr. 986 Cunegunda Lochner, verstorben 1575,
    verheiratet mit Christoph I. Harsdörffer, Nr. 1003, 1505 – 1573

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